Tonträgerschatztruhe

 

Smith & Mighty - Big World Small World
Bristols neuer Schlag ins Gesicht der nach Innovationen schreienden Massen ist da, und Smith & Mighty sind die Überbringer. Nach einem sehr exquisiten 'DJ-Kicks'-Intermezzo treten Rob Smith und seine Crew nun erneut auf '!K7' an, um mit einem Komplettalbum die Roots, ihre ureigensten Wurzeln, zurück in die Sinne der lechzenden Massen zu bringen. Was wäre Bristols D&B-Szene schließlich ohne Soul & Dub? Diese legitime Frage im Sinn, wagt das Produzententrio einen radikalen Neuanfang: Was für eine Stimmung gilt es auszudrücken? Was für Sounds können mit welchem Standard erzeugt werden? Gefragt, getan - gewagt, gewonnen: mit 'Big World Small World' ist Smith & Mighty ein Zeitsprung in der Musikgeschichte gelungen: Breakbeats spielen nur noch eine periphere Rolle, statt dessen dominieren brillante, von Tammy Payne, Alice Perera und L.D. gesungene Pop-Dance-Tracks. Tracks, die sich - getragen von der Stimmgewaltigkeit und den entscheidenden Schritten in Richtung Dub - zu sentimentalen Rühr-Prachtstücken aufschwingen. Weltschmerz dringt durch jede Pore. Selbst in den auflockernden Ragga-Chants und Toasting-Versatzstücken von Rudy Lee und Niji 40. Zum Weinen schön. Und wir alle kehren zu unserem Nullpunkt zurück. Daniel Karg, Intro

 

NBK - OST

Nits - Alankomaat
Auch wenn die Holländer mit "Sister Rosa" und "Robinson" (eine Quasi-Fortsetzung zum Film "The Graduate") beweisen, daß sie Popsongs mit Hit-Potential noch immer beherrschen, die "Dutch Mountains" sind ein für allemal überwunden. Vier Jahre sind vergangen seit dem letzten Studio-Album und anderthalb, seitdem Robert Jan Stips (keyb) aus dem kreativen Trio schied. Unklar war, ob die Band nach über 20 Jahren solch eine Veränderung überhaupt überstehen würde. Sie hat. Und eine neue Zeit beginnt: Präsentierten sich die NITS bisher eher als Gruppe, treten nun zwei Individuen in den Vordergrund. Statt unwiderruflich vergangene Zeiten heraufzubeschwören, setzten Henk Hofstede (lyrics, voc, guit, keyb ...) und Rob Kloet (dr, perc) auf sich und ihre Stärken. Von Gastmusikern einfühlsam unterstützt.Ist "Alankomaat" eine Hommage an Finnland? Der Titel (das finnische Wort für "Niederlande"), Gastauftritte von finnischen Künstlern (Ursula & Tuuni Länsman, die dem Opener "Sister Rosa" das gewisse Etwas verleihen, oder WIMME, dessen CD auf der letzten NITS-Tour gespielt und verkauft wurde) und vor allem "Soul Man", eine Art "Helsinki Blues", legen diese Vermutung nahe. Noch viel mehr aber ist "Alankomaat" ein sehr privates Dokument, das Hofstedes: Da spielt natürlich Finnland eine große Rolle, das Land, in dem die Band einen hier unvorstellbaren Status innehat; und auch Erinnerungen an Genf-Besuche tauchen auf; das Herz des Albums aber bilden sensible "Familie" thematisierende Songs (u. a. die wunderschöne Single-Auskopplung "Three Sisters", das COHENeske "House Of Jacob" und das Meisterwerk "The Light"). Und so persönlich wie die Lyrics ist die Musik geraten: keinen sanfteren Schlagzeuger/Percussionisten könnte man sich wünschen - Kloet gibt den Songs Halt und Rahmen, zurückhaltend ist die übrige Instrumentierung, Sounds untermalen Impressionen. Und über allem Hofstedes Stimme, ungewöhnlich vielseitig diesmal.Nur konsequent wirken in diesem Rahmen der Dank an die Mütter der beiden, die auch in den Collagen des (wie immer von Hofstede und seiner Lebensgefährtin Riemke Kuipers geschaffenen) atmosphärischen Booklets auftauchen, wie auch die Widmung an - ich denke mal die Väter - Henk und Hans. Apropos Familie: Daß die Band einen eigenen Kosmos bildet, zeigen erstmalig auch die Credits "nits ALANKOMAAT stage", in denen vom Merchandiser bis zum Licht- und Soundmann allesamt Namen auftauchen, die seit Urzeiten zur NITS-Familie gehören. Sympathisch, wie das ganze Album. Intro

 

NBK - OST

Blake C - Travelling Without Moving
Blake C. war beim Denver Clan der böse Pate im Hintergrund. "Travelling Without Moving" kennen wir auch: als Albumtitel. So hieß doch das letzte Popfunk-Machwerk eines gewissen fellmützigen Jamirokesen, das sämtliche Friseur-Läden des Planeten (und damit auch deren InsassInnen) gerockt haben dürfte. Jetzt aber weg mit der Grauhaar-Perücke des Dons und ab mit dem Fellhut des Möchtegern-Indianers auf den Müllhaufen der Musikgeschichte. Denn Blake C. aus Frankfurt sind all das, was die beiden Obengenannten nicht sind, bzw. besitzen, was sie nicht haben. Sind also gut. Können chillen wie Buddha. Dub-Housen fast wie Salz. Fliegen wie Air Jamaica. Samplen wie die Weltmeister. Und haben die Ruhe weg. Ambiente Downtempo-Elektronik mit ganz viel Stil, gemacht von zwei Jungs, die als Kingsize XS oder MRI bereits auf Forcetracks oder raum...musik veröffentlicht haben. Den Autoren ereilte diese Packung im Post-Popkomm-Chill und schlug dort ein wie eine kleine wattige Splitter-Bombe. Drei Tage lang nix anderes gehört, weil alles andere zu stressig schien bzw. war. Weit gereist, ohne auch nur einen Schritt vor die Tür gesetzt zu haben. Im südchinesichen Meer getaucht, die Cameron Highlands von oben betrachtet und sich im Gewusel eines Nacht-Basars irgendwo im Orient treiben lassen. Eine großartige Zeit gehabt, schallend über alle gelacht, für die Musik dieser Art "Boutiquen-Soundtrack" ist. Und dann, ohne An- oder Abschnallen, weich gelandet; das Rauchen natürlich nicht eingestellt. Und in den Sauerstoffmasken war Helium, die kamen zwischendurch nur so zum Spaß mal runter während des Fluges. Wenn das hier wirklich die 001 eines neuen Labels ist, dann gnade uns Gott. Aber der hat bestimmt grad die Kopfhörer aufgesetzt und hört ein wenig elektronische Musik. Und zwar diese Scheibe hier, jede Wette ... Georg Boskamp, Intro

 

NBK - OST

Natural Born Killers - Soundtrack
Ein weiterer Film des von vielen als genial gepriesenen Oliver Stone. Trent Reznor von Nine Inch Nails wurde mit der Produktion des Soundtracks beauftragt. Er zeigt Talent bei der Zusammenstellung verschiedenartiger Musiker: Das Spektrum reicht von Patsy Cline bis Lard. Herausgekommen ist eine breit gefächerte Kollektion, die - durch Filmdialoge als roten Faden - Seinesgleichen sucht. Die Version der Cowboy Junkies von "Sweet Jane" (Original von Velvet Underground) ist schlichtweg fabelhaft. Bob Dylan, Peter Gabriel und Leonard Cohen geben sich ein Stelldichein und vermitteln der Scheibe Superstar-Status, auch wenn die Songs genauso auf anderen CDs zu haben sind. Das von Nine Inch Nails selbst stammende "Something I Can Never Have" - eine Auskopplung aus Pretty Hate Machine - ist der offenkundigste Versuch, Reznos Konzept umzusetzen: Pulp Fiction für durchgeknallte "Generation X"-Zugehörige. Scott Wilson, Amazon

 

35007 - Liquid

35007 - Liquid
Definiere Psychedelic: Du schließt die Augen, lässt dich von der Musik in Klangwelten entführen und genießt die Harmonie und deine eigene Vorstellungskraft. Du reitest die Schlange, wie es Jim Morrison einst so schön nannte - auf "Liquid' hingegen reitest du die Welle. In der Ode an das flüssige Element untermauern 35007 ihre Vormachtstellung in jenem Bereich des aktuellen Psychedelic-Rock. Kaum eine andere Band versteht es so gut, Loops und Theremin einzusetzen, und diese mit Heavy-Riffs zu verbinden. Surfen wir da doch mal durch die Geschichte von Loose. Erste Aufmerksamkeit erzeugten die Eindhovener als musikalische Untermalung von Modenschauen, die erste Platte "Especially For You' überzeugte Fachpresse und schund Eindruck bei der angesprochenen Klientel. Selbst musikalische Rückschläge wie der Verlust des gesamten Instrumentariums und der Ausstieg des Sängers konnten das Losgetretene nicht mehr aufhalten. Mittlerweile funktioniert 35007 tatsächlich auch ohne Gesang. Insgesamt ist "Liquid' sicher ruhiger ausgefallen als seine Vorgänger, noisige Ausbrüche werden konsequent vermieden - dafür die (lediglich) vier Songs bewusst verknüpft. Das erzeugt den ultimativen Soundtrack eines kommenden Sommers. Surfen, Tauchen oder einfach in der Sonne liegen, diese Platte sollte in jedem Fall dringend dabeisein. Niels Kleimann, Intro

 

Labradford - Mi Media Naranja

Labradford - Mi Media Naranja
Gaaanz leise, gaaanz langsam, getragen, erhaben. Das vierte Album der Krautrock- Apologeten aus Richmond, Virginia ist ein vertonter Schwebezustand. Grummelnde Orgeln, klingklangklungende Vibraphone, sparsame Streicher, geheimnisvolle Fremdgeräusche umfassender Wohlklang, der nie beliebig wird. Man möchte ewig weiterschweben. Josef Winkler, Musikexpress

 

Photek - Modus Operandi

Photek - Modus Operandi
Das Debütalbum von Rupert Parkes alias Photek zählt sicherlich zu den am ungeduldigsten erwarteten Platten der noch jungen Drum 'n' Bass-Geschichte. Und das zurecht, denn die bis ins kleinste Detail ausgefeilten Breakbeat-Gewitter des 24jährigen Musikers aus London stoßen, nicht zuletzt wegen ihrer komplexen, jazzverwandten Strukturen, auch außerhalb eingeschworener Drum 'n' Bass-Zirkel auf zunehmendes Interesse. Modus Operandi enttäuscht die hohen Erwartungen, die Photek in den letzten zwei Jahren mit Tracks wie "Fusion", "UFO" und "Seven Samurai "geweckt hat, nicht. Die zehn Stücke, darunter "The Hidden Camera", seine erste Single für das Science-Label aus dem letzten Jahr, bestechen mit futuristischen Elektronik-Sounds, in denen seine Begeisterung für Musiker wie Carl Craig und Black Dog mitschwingt, und für verschachtelte, bis in das kleinste Detail ausgearbeiteten Rhythmen, die nie dem Beat-Diktat moderner Clubmusik folgen. Parkes entfernt sich in Titeln wie "Minotaur" und "124" ganz bewußt von vorhersehbaren und ausgereizten Songstrukturen. In seinen Kompositionen vereint er auf unverwechselbare Weise sein angehäuftes Wissen um die unendlichen Möglichkeiten der musikalischen Abstraktion von Jazz über HipHop bis hin zu Techno am Ende des 20. Jahrhunderts mit den technischen Fähigkeiten moderner Studiotechnik. Mit wenigen, radikalen Schnitten katapultiert Photek seine Songs in eine für viele Epigonen unerreichbare Umlaufbahn um den sich stetig runderneuernden Planeten namens Drum 'n' Bass. Frank Stengel, Musikexpress

 

Pimpie Jackson - Lieder

Pimpie Jackson - Lieder
Der Typ hat Soul. Der Typ ist Sex. Und er hat einen Namen, der ist ohne Gnade gut. Kommt wohl aus Berlin, der Sack. Schätz ich mal. Stimmt aber nicht. Münster. Hm, aber egal. Pimpie Jackson ist Barry White, ist James Brown, ist Ego Express und Bob Sinclair und Lilo Wanders. Und Liedermacher, im falschen Sinn des Wortes, ist er auch. Relaxt läßt er Dich zurückfallen, während er "Wieso Nicht Ich (Wenn Du Du Sagst)" fragt oder mit Barorgeln dick einen auf "Eropimp" macht. Swingt dich graziös und sexy in die Knie, aufs Sofa oder in den Barhocker. Liegst du dann gemütlich da, reißt er Dich wieder hoch. Viervierteltakt, lässig attackiert und arrangiert. "Night Of The Living Dance" heißt das dann. Oder "Dance The Nose". Pimpie ist endlich mal wieder einer, der sich an Easy Listening und Heimsynthesizer wagt, ohne daß dabei was Abgeschmacktes rauskommt. Ohne rumzunerven. Und lustig, lustig ist die Platte auch, das gibt es ja leider ebenfalls immer seltener. Was hier zumeist an den obskuren Sprachsamples liegt, bei denen Du Dich echt wegschmeißen kannst - von Zeit zu Zeit. Nur eines hätte er sich besser sparen sollen: Santana sein zu wollen. Grrr. Alexander Jürgs, Intro

 

Peer Gynt - Peer Gynt

Peer Gynt - Mother
Vor mir liegt ein Puzzle aus 1000 Einzelteilen. Auf dem Verpackungsdeckel ist das fertige Motiv zu sehen: Eine naives, fast kitschig-buntes Gemälde einer Frühlingslandschaft, vor einer großstädtischen Skyline in weiter Ferne. Im Vordergrund ein Baum, eine Wiese durch die ein kleiner Bach fließt und spielende Kinder, die mit wehenden, blonden Löckchen einen Schmetterling zu fangen versuchen.
Fest entschlossen stelle ich mich der Herausforderung und füge die wirr durcheinander gewürfelten Pappteile Stück für Stück zusammen. Einige passen sich auf Anhieb, fast wie von selbst aneinander, o.k., so sieht halt ein strahlend blauer Himmel aus. Andere Teile wiederum wollen sich partout nicht in die vorgeformten Rundungen pressen lassen. Nur mühsam gelingen mir größere Felder, die aber als Versatzstücke einfach noch nicht zueinander gehören.
Bei einem versonnenen Blick auf das Bildmotiv stelle ich verdutzt fest, daß sich die dargestellte Szenerie urplötzlich mit Leben erfüllt. Ich höre förmlich das ausgelassene Kreischen der Kinder, die vor meinen Augen umher hüpfen und ihre Hände jauchzend in die Luft werfen. Ihr quirliges Spiel stört ein wenig die malerische Idylle mit Vogelgezwitscher und Wasserrauschen. Irgend etwas stimmt hier nicht.
Ein Blick gen Himmel klärt das innere Unbehagen auf. Am Horizont über der Stadt sind tiefschwarze Wolken aufgezogen, die eine graue, breiige Masse mit den Rauchschwaden der Fabrikschornsteine bilden. Es wird ein Gewitter geben - Zeit den Heimweg anzutreten. Durch einen krachenden Donnerschlag werde ich jäh aus diesem Tagtraum gerissen. Vor mit liegen immer noch gut 800 Puzzleteile, die nach ihren passenden Nachbarn suchen. Ob ich das Bild jemals zusammen bekomme, weiß ich nicht, aber ich werd's versuchen. Ich mag dieses Bild.
Peer Gynt - Mother. So ist es. Ganz groß ! Wisch, Virtualrock.de

 

Isotope 217° - The unstable molecule

Isotope 217° - The Unstable Molecule
Die beiden Tortoise-Percussionisten John Herndon und Dan Bitney haben ein illustres Aufgebot an jungen Avantgarde- und Jazzmusikern um sich geschart und lassen den Rhythmen freien Lauf. Fernab von Post-Rock umspielt das Sextett schwerelos alle stilistischen Hindernisse und nähert sich dabei erstaunlich elegant der Umlaufbahn eines Sun Ra. Markus Naegele, Musikexpress

 

Movietone - Day and Night

Movietone - Day and Night
Obwohl laut Info "diese Platte (...) mit Worten nicht zu beschreiben" ist, mag der Versuch gestattet sein. Movietone kommen aus Bristol und dem engeren Flying Saucer Attack-Umfeld. Im Vordergrund steht bei "Day And Night" der Prozeß des Entstehenlassens von Stimmungen, wobei die Mittel hier eben nicht a priori Gitarrenloops und Feedbacks sind, sondern in erster Linie strukturierte Kompositionen, die entweder von Klavier und/oder Baß getragen werden und trotz partiell eingesetzter Percussion reduziert, häufig lose und doch sehr flüssig daherkommen. Schon das Gitarrenintro zu "Sun Drawing" mutet wie Kammermusik an und verbreitet die Muffe von Homerecording. Der Gesang bleibt meistens sehr eingebunden und undifferenziert. So werden die etwas gangbareren mit schöner Regelmäßigkeit von den "Night"-Stücken abgelöst, wobei sich die ohnehin nicht gerade extremen Gegensätze im Verlauf von "Day And Night" immer mehr auflösen. Das alles wirkt sehr unmittelbar, äußerst getragen, ist von atemberaubender Schönheit, manchmal beängstigend und auf keinen Fall leichter zu konsumieren als der (fast) gleichnamige Kaffee. Schmeckt trotzdem besser. Joachim Henn, Intro

 

wird fortgesetzt...


»Eine Band wie Guano Apes bietet sich doch geradezu zum verarschen an.«

Guido Lucas (blunoise)

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